Hallo Stefan,
als langjähriger und glühender Mauritius-Fan hab ich schon öfter mal reingeschaut bei euch, und nachdem ich in zwei Wochen endlich wieder mal hinfliege, hab ich zur Einstimmung heute ausgiebig herumgeschmökert. Gerade die kontroversielle Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse interessiert mich sehr - war ich doch wie viele andere auch sofort begeistert von der Bevölkerungsvielfalt, die so friedlich auf der Insel lebt. Den Beitrag von Polo finde ich auch etwas pessimistisch, denn obwohl ich auch schnell gemerkt habe, dass es nicht immer ein miteinander, sondern ein nebeneinander ist, so ist es doch immerhin bemerkenswert, dass dieses Nebeneinander auf so engem Raum so gut funktioniert. Und in Bezug auf die angeblich so schlimm bewaffneten Moslems hatte ich denselben Gedanken, den du in deiner Antwort geschrieben hast: dass Mauritianer gerne übertreiben und gerne "Gschichtln" erzählen. Im übrigen hängt das finde ich auch zusammen damit, dass sie eben generell sehr kommunikativ sind, was ich sehr schätze, und was ja auch das kennenlernen von Menschen auf dieser Insel so einfach macht.
Nach den Anschlagen von 9/11 in den USA haben wir damals übrigens auch von einem mauritianischen Freund gehört, dass in Mru eine Al-Kaida-Zelle ausgehoben worden sei. Tja, kann sein - wenn´s so war, dann wohl deshalb, gerade weil Mru eben so friedlich und unverdächtig ist - ein ebenso guter Rückzugsort wie Deutschland oder Österreich... Meine Theorie, warum es kaum offensichtliche Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt, ist, dass keine Gruppe von sich behaupten kann, "Ureinwohner" zu sein. Ein Vorteil, den kaum ein anderes Land hat. Deshalb eignet sich die Insel auch nicht wirklich als Vergleich mit anderen Gebieten, in denen seit Jahrhunderten erbitterte Kämpfe geführt werden. Und diejenigen, die noch am ehesten glauben, sie wären was besseres, das sind ja wohl die Franko-Mauritianer, aber von denen gibt es zum Glück nicht mehr allzu viele.
Das Erschreckendste, das ich zum Thema Rassismus auf Mru erlebt habe, war übrigens ein Besuch im "Dodo-Club" - wo Farbige nur arbeiten dürfen, aber nicht Mitglied werden. Weiß nicht, ob das immer noch so ist, ist schon ein paar Jahre her. Im Großen und Ganzen habe ich jedenfalls nicht den Eindruck, dass sich die Zustände auch nur annähernd so verschärfen wie z.B. in Mitteleuropa - wir haben hier grade in Wien einen extrem hässlichen Wahlkampf der FPÖ miterlebt, die es mit ausländerfeindlichen Parolen auf immerhin 11 Prozent geschafft hat - da erscheint einem Mauritius tatsächlich als ein Paradies!
Dass es das vollkommene Paradies auf Erden nun mal wirklich nicht gibt, das ist meiner meinung nach völlig logisch - aber im Vergleich zu vielen anderen Orten, Ländern, Gesellschaften steigt Mauritius schon ziemlich gut aus. Wobei ich schon auch beobachte, dass sich das Land - und damit sicher auch die Menschen - über die Jahre (ich war 91 das erste mal dort) verändert hat - sicher nicht nur zum Positiven, gerade aus der Sicht eines Urlaubers. Aber schließlich ist es nur verständlich, dass auch die Mauritianer nach mehr Wohlstand und höherem Lebensstandard (im Sinne der sogenannten zivilisierten Welt) streben - wer wollte ihnen das vorwerfen? Wir Europäer? Ha! Und dass damit ein bisschen Paradieshaftes verloren geht, naja, das ist eben der Preis. Seit 91 ist die Insel definitiv geschäftiger, hektischer geworden - dafür sind die Straßen super ausgebaut, was ich (da wir immer einen Leiwagen mieten und fleißig herumglühen) durchaus zu schätzen weiß.
Am Bedenklichsten finde ich allerdings die immer höher werdende Dichte an Hotels - denn wenn irgendwann einmal kaum mehr öffentliche Strände da sind für die Mauritianer selbst, dann wird sich die Haltung Fremden gegenüber garantiert ändern, und dann könnte es schließlich doch noch kippen in eine gespielte Freundlichkeit, die nur darauf abzielt, die dummen Touris auszunehmen. Davon hab ich selbst noch kaum was bemerkt, klarerweise mit ein Grund, warum ich mich dort so wohl fühle.
Jedenfalls freu ich mich schon unsagbar darauf, schon bald wieder dort zu sein. Jetzt erst mal liebe Grüße aus dem herbstlichen Wien,
Ingrid
P.S.: Das nächst mal fass ich mich kürzer, versprochen...
